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Erklärungswahl: Eichelhäher oder Vogel?

12 Monate alte Kinder mit Detailvorliebe haben einen größeren Wortschatz mit 18 Monaten als "kategorisierende" Kinder.

Sketchnote: J. Meyer

Wer Kindern einen Eichelhäher zeigt, steht schnell vor der "Erklärungs-Wahl":

1) Die präzise Erklärung mit Hintergrund ohne Kategorie:
"Das ist ein Eichelhäher. Der ist hier, weil hier so viele Eicheln herumliegen. Die mag der Eichelhäher so gerne."

2) Die rein kategoriesierende Erklärung: 
"Das ist ein Vogel. Siehst Du die Flügel? Damit kann der Vogel fliegen, so wie der Vogel dort auch." (Zeigen auf Amsel)

3) Die präzise Erklärung: 
"Das ist ein Eichelhäher. Danneben ist eine Amsel. Beides sind Vögel, die fliegen können."

4) Die persönliche Erklärung präzise, ggf. mit Kategorie:
"Das ist ein schöner großer Vogel. Er ist ganz besonders schön mit der blauen Feder. Deine Schwester hat mal so eine blaue Feder gefunden. Schau einmal wie der Vogel hüpft. Toll oder? Das macht er wie früher manche Dinos. Das ist übrigens ein Eichelhäher. Den mag ich besonders gerne... oh, wie schnell der landet".

5) Die beobachtende kategorisierende Erklärung mit Motorikeinsatz:
"Guck einmal der Vogel. Der kann fliegen (Eltern flattern mit den Armen). Kannst du das auch? (Kind wedelt mit den Armen). Jetzt sind wir auch Vögel oder? Ui, ob der Ast den kräftigen Vogel aushält? Was meinst du? Puh, aber der kann ja wegfliegen und fällt nicht auf den Po. (Kind lässt sich fallen und lacht)"

usw. 

Diese Auflistung ließe sich mit beliebigen Kombinationsmöglichkeiten fortsetzen. Jeder findet sich dort irgendwie wieder. Die persönliche Erklärung manchmal mit Kategorie, manchmal präzise, ganz nach Situation, hat es mir zugegebenerweise besonders angetan.

Nebenbei gehen mir aber auch Überlegungen aus dem Mathematikunterricht, der Mengenlehre durch den Kopf. Bringe ich meinem Kind besser erst einmal die grobe Kategorie bei? Ist es wichtig, diese Kategorie bspw. "Vögel" schon zu bilden? Oder sollte ich ruhig schon mehr ins Detail gehen und Kategorien, Kategorien sein lassen? Interessiert das ein 12 Monate altes Kind überhaupt schon? Überfordere ich es mit zu viel Details?

Sprechen soll schließlich Spass machen, also bleibe ich bei der persönlichen Erklärung, manchmal auch mit Motorikeinsatz, da mir das am besten so gefällt.

Die mit 12 Monaten stärker kategoriisierenden Kinder haben mit 18 Monaten einen kleineren Wortschatz als die präziser sprechenden Kinder



Mich freut es, dass Forscher sich mit dieser, mir immer wieder im Kopf schwebenden, Frage nun beschäftigt haben: Laut einer aktuellen  amerikanisch-schweizerischen Studie können diejenigen Kinder, die mit 12 Monaten das präzisere Sprachverständnis haben und weniger kategorisieren, mit 18 Monaten mehr Wörter verstehen und sprechen, als diejengen Kinder, die stärker kategorisieren.

Das Forscher-Team um Brock Ferguson von der Psychologischen Fakultät der Northwestern University hat hierzu (leider nur) 24  Kinder im Zeitraum zwischwen dem 12. und 18. Lebensmonat beobachtet und kam zu diesem teils überraschenden Ergebnis. Was Ursache und was Wirkung ist, ist dabei noch unklar. Es stellt sich die Frage, ob bestimmtes Verhalten der Eltern zu bestimmtem Lernverhalten der Kinder führt oder ob die Kinder von sich aus bspw. eher "Kategorisierer" oder aber "Detailverliebte" sind. Vielleicht ist es aber auch ein Wechselspiel aus Erlerntem und Angeborenem.

Das Ergebnis der Studie von Brock Ferguson und seinem Team überraschte insofern, da ein Kind, das Kategorien schnell bliden kann, schließlich auch viel gelernt hat und man annehmen könnte, dass es auch sprachlich im Vorteil sein müsste. Bezüglich des Wortschatzes ist es in diesem Fall aber anders. Die Detailvorliebe zahlt sich bzgl. des Wortschatzes aus. Dennoch ist die kognitive Leistung, sowohl einen Eichelhäher als auch bspw. einen Strauß als "Vogel" zu erkennen bei den "Kategorisierern" unter Umständen bereits vorhanden.

Dennoch schließe ich mutig aus der Studie: Wir können ganz beruhigt, Babies Eichelhäher-Details zumuten. Vielleicht hilft es dem Wortschatz auf die Sprünge. Die Kinder melden sich gewiss, wenn es langweilig wird... .

Quelle:
http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fpsyg.2015.01319/full





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